Stefan Appelius


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Erfolg hat nur der Unabhängige

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Erfolg hat nur der Unabhängige
Fünfzig Jahre Buhlen, Drohen, Widerstand: Die "Frankfurter Rundschau", Karl Gerold und die SPD

Von Stefan Appelius

Jetzt hat es also endlich geklappt. Seit mehr als fünfzig Jahren haben die Sozialdemokraten versucht, die "Frankfurter Rundschau" in ihren Besitz zu bekommen. Das Bundeskartellamt hat die Neunzig-Prozent-Übernahme der Zeitung durch die SPD-Medienholding DDVG abgesegnet. Wer will es da dem SPD-Medienexperten Peter Glotz verübeln, wenn er den Verkauf als Beginn einer "langfristigen Verbindung" zwischen der SPD und der "Rundschau" feiert? Immerhin hat es lange genug so ausgesehen, als wenn diese Verbindung nur eine Wunschvorstellung unverbesserlicher Optimisten bleiben würde.

Blenden wir zurück: "Die SPD Hessen-Süd versucht seit der Zeit, da ich als Mitherausgeber und Chefredakteur der 'Frankfurter Rundschau' wirke, immer wieder auf dem Wege über meine Person parteipolitischen Einfluss auf die unabhängige, demokratische Gestaltung dieser Zeitung zu nehmen. Meine Aufgabe ist es jedoch, der einfachen Chronistenpflicht eines jeden anständigen Journalisten zu genügen. Es ist unmöglich, dass ich mich dieser Verpflichtung, die ich gegenüber der gesamten Öffentlichkeit habe, im falsch verstandenen Interesse einer Partei entziehe." Das schrieb niemand anderes als Karl Gerold, Mitgründer der "Rundschau", im April 1950. Als sein Brief in der Frankfurter SPD-Zentrale eintraf, war das Tischtuch zwischen der SPD und der "Frankfurter Rundschau" längst zerschnitten.

Dabei war Karl Gerold immerhin ein gestandener Sozialdemokrat. Im Dörfchen Giengen an der Brenz im heutigen Bundesland Baden-Württemberg am 29. August 1906 geboren, schloss er sich 1922 der "Sozialistischen Arbeiterjugend" (SAJ) an, dem damaligen Jugendverband der SPD. Der junge Mann interessierte sich für den Journalismus und war ab Ende der zwanziger Jahre als freier Mitarbeiter für die "Volkswacht" tätig. Das war eine sozialdemokratische Tageszeitung, die seit 1911 in Freiburg im Breisgau erschien und die Aufgabe hatte, die Wählerinnen und Wähler in den oberbadischen Wahlkreisen auf die Politik der SPD einzustimmen. Die "Volkswacht" befand sich im Eigentum der SPD, die es in der Weimarer Republik als ihre vornehmste Aufgabe ansah, durch ihre Zeitungen gewissermaßen erziehend auf die Öffentlichkeit einzuwirken. Viele Menschen hat das Blatt allerdings nicht erreicht, die Auflage lag deutlich unter zehntausend Exemplaren.

Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 sass Gerold für einige Wochen in sogenannter Schutzhaft. An seiner Überzeugung änderte das nichts: Nach seiner Freilassung betätigte er sich für seine Partei im politischen Widerstand gegen das NS-Regime und verließ Deutschland erst, als seine erneute Verhaftung drohte. Er ließ sich in der Schweiz nieder, veröffentlichte mehrere Bücher, schrieb für Schweizer Zeitungen und nahm schließlich als deren Korrespondent am Spanischen Bürgerkrieg teil. Ein derartig eindeutiges politisches Engagement war bei politischen Flüchtlingen in der Schweiz nicht gerne gesehen, und so landete Gerold im Internierungslager und wurde aufgrund seiner Aktivitäten in dem von ihm begründeten "Bund Deutscher Revolutionärer Sozialisten" noch im Januar 1945 wegen Neutralitätsbruch und "nachrichtendienstlicher Tätigkeit" in der Schweiz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung kehrte Gerold im Spätsommer 1945 nach Deutschland zurück.

Zur selben Zeit, am 1. August 1945, erschien die erste Ausgabe der "Frankfurter Rundschau" unter der Lizenznummer zwei der Nachrichten-Kontrolle der Militärregierung. Menschen wie Gerold waren damals in Deutschland Mangelware. In jenen Monaten suchten die Amerikaner in ihrer Besatzungszone politisch integre Persönlichkeiten, die als Antifaschisten in Betracht kamen, zu Lizenzträgern der neuen, demokratischen Tageszeitungen zu werden.

Im Gegensatz zu den Engländern, die damals in ihrer Besatzungszone den von ihnen zugelassenen Parteien das Recht zur Herausgabe eigener Zeitungen zugestanden, bestanden die Amerikaner allerdings auf einem gemischten System, in dem die Parteien selbst keinen direkten Zugriff auf die neuen Tageszeitungen haben sollten. Die Parteien schlugen den Amerikanern daraufhin Persönlichkeiten vor, die aus ihrer Sicht als Lizenzträger in Betracht kamen. So wurden drei Sozialdemokraten und drei Kommunisten auf Vorschlag der SPD und der KPD von den Amerikanern zu den ersten Lizenzträgern der "Frankfurter Rundschau" ernannt. Nach Rangeleien untereinander und mit der Besatzungsmacht saßen, als sich die Amerikaner nach der Verkündung der sogenannten Generallizenz im Herbst 1949 aus der Kontrolle der deutschen Tagespresse zurückzogen, in der "Frankfurter Rundschau" nur noch Karl Gerold und Arno Rudert (1891 - 1954) als Verleger im Boot.

Rudert, in der Weimarer Republik Chefredakteur der kommunistischen "Frankfurter Volkszeitung", hatte der KPD inzwischen den Rücken gekehrt und konzentrierte sich auf die Geschäftsführung, während Gerold auch als Chefredakteur der "Rundschau" amtierte. Noch schien die Welt in Ordnung: Die "Rundschau" hatte sich als Regionalzeitung in Südhessen etabliert, die tägliche Auflage lag auch nach der Währungsreform noch um die 150.000 Exemplare. Die Redaktion bezog ihre Nachrichten nicht nur von der Deutschen Presse-Agentur, sondern hatte auch einen Vertrag mit dem damals noch existierenden "Sozialdemokratischen Pressedienst" in Bonn geschlossen. Doch hinter den Kulissen begann es bereits zu rumoren. Denn obwohl die Redaktion der unabhängigen Tageszeitung in aller Regel aus sozialdemokratischem Blickwinkel zu berichten pflegte, war man in der Bonner Baracke, vor allem aber in der Frankfurter SPD, auf das Druckerzeugnis nicht gut zu sprechen.

Der hessische SPD-Landesvorsitzende Willy Knothe hatte sich geradezu auf die "Rundschau" eingeschossen. So beklagte sich schon Anfang April 1948 der damalige FR-Wirtschaftsredakteur Alfons Montag bei den "geehrten Genossen" im SPD-Parteivorstand, dass das Wirken der sechs sozialdemokratischen Redakteure in der "Rundschau" nicht hinreichend gewürdigt werde: "Dabei lässt die Erfahrung der vergangenen 34 Monate erkennen, dass ohne die (...) 'Frankfurter Rundschau', die SPD in Hessen niemals die Wählerstimmen auf sich hätte vereinigen können, die sie tatsächlich gehabt hat. Die eindeutig sozialistische Einstellung, die in vielen Artikeln zum Ausdruck kam, hat wesentlich dazu beigetragen, bei den Lesern die Aufmerksamkeit auf das Wirken der SPD zu lenken."

Doch im Parteivorstand befürchtete man, dass die Unabhängigkeit der Heimatzeitungen zu einer Entpolitisierung und letztendlich "Verspießerung der Menschen" führen werde, wie es der SPD-Pressechef Fritz Heine im Dezember 1948 in einem Brief an Gerold formulierte. Aufgabe der SPD sei es, "volkstümliche" Zeitungen zu schaffen, ohne dass dabei verdeckt werden dürfe, welcher "prinzipielle Standpunkt" dahinter zu suchen sei. Davon aber wollte Gerold nichts wissen. Er plädierte leidenschaftlich für die Pressefreiheit und und forderte seine Parteifreunde dazu auf, auch die sozialdemokratischen Tageszeitungen endlich so attraktiv zu gestalten, dass sie im Wettbewerb mit der unabhängigen Presse bestehen konnten: "Das nennt man Freiheit - Freiheit allerdings, in der sich die Demokraten - und das gilt auch für die demokratischen Parteien - in höchstem Maße zu bewähren haben!"

Der Eklat kam im Frühjahr 1950. Nachdem die "Rundschau" darüber berichtet hatte, dass es in der Führungsetage der SPD eine Reihe früherer Gestapo-Spitzel gab, die man, um sich keine politische Blöße zu geben, nicht zu enttarnen bereit war, standen die Telefone in der Redaktion nicht mehr still. Die Veröffentlichung war immerhin ein schwerer Bruch der heiligen Parteidisziplin. Karl Gerold platzte endgültig der Kragen: "Wir denken nicht daran, irdeneine Nachricht, aus Partei- oder sonstigen Interessen, zu unterschlagen", hieß es in seinem Austrittsschreiben. Von diesem Tage an trennten sich die Wege der SPD und der "Frankfurter Rundschau".

Was uns zu einer sozialdemokratischen Organisation bringt, über die man in der Öffentlichkeit damals fast genauso wenig in Erfahrung bringen konnte, wie heute über die "Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft" (DDVG), jene im Dezember 1971 in Hamburg gegründete Obergesellschaft, die die Unternehmensbeteiligungen der SPD verwaltet und die jetzt - ganz entgegen ihren sonstigen an Minderheitsbeteiligungen orientierten unternehmerischen Gepflogenheiten - zur neuen Mehrheitseigentümerin der "Frankfurter Rundschau" geworden ist. Es ist die Rede von der legendären "Konzentration GmbH", die sich in den fünfziger Jahren noch keck "Interessengemeinschaft sozialistischer Wirtschaftsunternehmungen" und das seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit Arbeitergroschen angesammelte Tafelsilber der Partei verwaltete: Damit ist eine Vielzahl sozialdemokratischer Tageszeitungen, Druckereien, Buch- und Zeitschriftenverlage und Buchhandlungen gemeint - Unternehmen, die wie der "Telegraf" einige Jahre später in die Pleite marschierten, weil man damals im Management der SPD zwar auf die Ideologie, jedoch gar nicht auf die Prinzipien der Marktwirtschaft achtete.

Diese "Konzentration GmbH" war es, die 1954, mit einem Millionenkredit der gewerkschaftseigenen "Bank für Gemeinwirtschaft" (BfG) ausgestattet, versuchte, sich bei der "Rundschau" einzukaufen. Damals war das Blatt durch eine fällige Kreditrückzahlung an die Commerzbank in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Deshalb schien eine gute Gelegenheit für die Partei gekommen zu sein, das Blatt endlich an sich zu bringen. Doch das Vorhaben misslang und konnte erst jetzt, ein halbes Jahrhundert später, von der DDVG vollendet werden. Der ursprüngliche Gründungszweck der DDVG bestand übrigens darin, die damals noch bestehenden, finanziell arg gebeutelten sozialdemokratischen Unternehmen entweder zu liquidieren oder aber zu sanieren. Dass ihr das zwischenzeitlich im einen oder anderen Fall auch tatsächlich gelungen ist, hat sich längst über den Rechenschaftsbericht der Schatzmeisterin der SPD hinaus herumgesprochen.

Doch blenden wir noch einmal zurück in die fünfziger Jahre. Die "Frankfurter Rundschau" galt im Parteivorstand der SPD, wie historische Protokolle belegen, nach dem gescheiterten Übernahme-Coup endgültig als zur bürgerlichen Presse gehörig - und mit der wollten die Sozialdemokraten bis weit in die siebziger Jahre hineinnichts zu tun haben. Selbst der Abdruck von Artikeln aus der "Frankfurter Rundschau" in der der SPD gehörenden und schon sehr frühzeitig an Lesermangel schwächelnden Mannheimer "AZ" wurde vom Parteivorstand rigoros unterbunden. Mit Karl Gerold, der bis zu seinem Tod Ende Februar 1973 die Leitung der "Rundschau" innehielt, wäre eine Versöhnung kaum denkbar gewesen.

Ein Einzelfall? Auch Gerolds sozialdemokratische Verleger-Kollegen Dietrich Oppenberg (Neue Ruhr-Zeitung), Erwin Schoettle (Stuttgarter Nachrichten), Hans Hackmack (Weser-Kurier) und Edmund Goldschagg (Süddeutsche Zeitung) mussten sich Zeit ihres Lebens sehr anstrengen, um der gefürchteten Umarmung ihrer Partei zu entgehen. In dieser Umarmung verendeten bis Anfang der siebziger Jahre die im Besitz der SPD befindlichen Tageszeitungen in Deutschland. Erfolgreich waren damals nur diejenigen sozialdemokratischen Verleger, die ihre Unabhängigkeit von der Partei redaktionell und organisatorisch zu wahren verstanden.

Alles nur Geschichte? Den letzten Krach mit einem Verleger hatten die Sozialdemokraten erst im Sommer 2000. Da wurde nämlich der WAZ-Verleger Erich Schumann auf Antrag seines Ortsvereins aus der SPD hinausgeschmissen, nachdem er Helmut Kohl eine größere Summe in dessen Sammeltopf gelegt hatte. Der langjährige Sozialdemokrat Schumann ist als Baumeister der über Deutschlands Grenzen hinaus erfolgreichen WAZ-Mediengruppe nicht nur eine Verlegerpersönlichkeiten in diesem Land. Er hat auch an jenem bereits erwähnten Dezembertag kurz vor Heiligabend 1971 in Hamburg als Notar an der Gründung der DDVG mitgewirkt.

Was Karl Gerold wohl über den Verkauf seiner "Rundschau" an die Genossen gedacht hätte? Wir wissen es nicht. Erich Schumann jedenfalls ist nach eigenem Bekunden, auch nachdem ihm die Genossen den Stuhl vor die Tür setzten, in seinem Herzen Sozialdemokrat geblieben.


Dieser Beitrag wurde am 14.05.2004 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) veröffentlicht.

Arno Scholz und Fritz Heine

Scholz und Heine

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