Stefan Appelius


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Andreas W. Mytze: Der Helfer aus dem Westen

Politisches Lernen

Als Robert Havemann im August 1976 die Aufhebung aller Verbote gegen das öffentliche Auftreten bestimmter Personen in der DDR, die Zulassung mehrerer Bewerber für jedes Volkskammer-Mandat und die Herabsetzung der Altersgrenze für Westreisen forderte, bediente sich der prominente Regimekritiker einer kleinen aber feinen Literaturzeitschrift namens "Europäische Ideen", die drei Jahre zuvor in West-Berlin entstanden war. Die bis heute existierenden "Europäischen Ideen" waren damals eines der wichtigsten Sprachrohre für Regimekritiker aus der DDR. Ob Robert Havemann, Jürgen Fuchs oder Wolf Biermann - am Verleger der "Europäischen Ideen", dem damals in West-Berlin lebenden Theaterwissenschaftler und Germanisten Andreas W. Mytze, kam niemand vorbei. Mit seiner zu Beginn der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) entstandenen Zeitschrift übte Mytze deutliche Kritik an den Verhältnissen in der DDR. Er zählte im November 1976 zu den letzten westlichen Journalisten, die mit Robert Havemann sprechen durften - bevor ihn die Staatssicherheit mit einem Einreiseverbot belegte. Mehr als einmal hatte Mytze die Sicherheitsorgane des Arbeiter- und Bauernstaates geärgert, als er beispielsweise zahlreichen DDR-Schriftstellern Telegramme sandte, um sie über Anschrift und Sprechzeiten des ostdeutschen Militärstaatsanwalts zu informieren, der für den Schriftsteller und Bürgerrechtler Jürgen Fuchs zuständig war, den man Ende 1976 wegen "staatsfeindlicher Hetze" einsperrte. Und damit nicht genug: In Radio-Interviews mit dem Norddeutschen Rundfunk, dem Deutschlandfunk und der BBC forderte Mytze damals zur Solidarisierung mit dem gerade ausgebürgerten Wolf Biermann und dem in DDR-Haft einsitzenden Jürgen Fuchs auf. Ein paar Monate später wandte sich Mytze in einem Offenen Brief - den er allen wichtigen westlichen Nachrichtenagenturen zugänglich machte - an den DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker, um die unverzügliche Freilassung von Jürgen Fuchs zu erreichen. Im selben Jahr, 1977, erschienen die "Europäischen Ideen" mit einem von Siegmar Faust redigierten "Sonderheft Biermann". Es enthielt Beiträge von Heinrich Böll, dem Literaturkritiker Heinrich Vormweg und Hans Habe - um nur die wichtigsten Namen zu nennen. Am 19. April ist der 1944 im sächsischen Riesa geborene Andreas W. Mytze, der seit vielen Jahren in London lebt, 70 Jahre alt geworden.

Veröffentlicht in: Der Stacheldraht Nr 3/2014, S. 11

Andreas W. Mytze

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