Stefan Appelius


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Wenzel Jaksch

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Der tapfere Böhme

Von Stefan Appelius

Er polterte wie ein Konservativer gegen den Verzicht der deutschen Ostgebiete. Doch mit Wenzel Jaksch stand seit 1964 ausgerechnet ein Sozialdemokrat an der Spitze des Bundes der Vertriebenen. Anders als sein Vorgänger hatte er eine weiße Weste - aber für seine eigene Partei wurde er bald zur Belastung.

Ein paar Monate nach Kriegsende gab es einen Augenblick, als Wenzel Jaksch alles hinschmeißen wollte. Er hatte gar keine Lust mehr, sich weiter mit dem Schicksal der Vertriebenen zu beschäftigen. Am liebsten würde er diese "im Wesen unfruchtbare Beschäftigung" ganz beenden, schrieb er seiner Ex-Frau: "Wenn man so gar nichts erreicht, wird es immer schwieriger, Energie aus sich herauszupumpen."

Als Millionen Sudetendeutsche auf Anordnung des tschechoslowakischen Staatspräsident Eduard Benesch gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden, saß er viele hundert Kilometer entfernt in London fest. Die Alliierten ließen ihn nicht nach Deutschland zurückkehren. Eduard Benesch sorgte persönlich dafür, dass er keine Genehmigung zur Übersiedlung erhielt. Jaksch war frustriert: "Der größte Teil der freien Welt ist heute den Leiden deutscher Menschen gegenüber taub."

Langstrobnitz war ein verschlafenes Dörfchen im südlichen Böhmerwald, das Ende des 19. Jahrhunderts zu Österreichisch-Ungarn gehörte. Hier wurde Wenzel Jaksch 1896 geboren. Die Erinnerung an das stille Tal, die Erlen am Bach und die Wälder, die er in seiner Jugend durchstreifte, ließ ihn nie los. Der gelernte Maurer dachte nicht daran, seine Heimat zu verlassen - auch nicht, als das Gebiet kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs von der neu entstandenen Tschechoslowakei beansprucht und gegen den Widerstand der deutschstämmigen Volksgruppe militärisch besetzt wurde. Zum "tapferen Böhme" adelte ihn Historiker Golo Mann dafür später einmal. Jaksch blieb einfach und vertrat schließlich die Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei (DSAP) im Prager Abgeordnetenhaus.

Wen werden die Sieger bestrafen?

Im Frühjahr 1938 zum Parteichef der DSAP gewählt, forderte auch Jaksch eine Autonomie für die deutsche Minderheit im tschechoslowakischen Staatsverband. Die meisten Sudetendeutschen waren inzwischen für eine härtere Gangart. Sie stimmten für Konrad Henlein ("Heim ins Reich") und seine Sudetendeutsche Parte" (SdP). Nach der Annektierung des Sudetenlandes gerieten Tausende sudetendeutsche Sozialdemokraten in Haft, viele von ihnen kamen ums Leben. Wenzel Jaksch floh auf Skiern über die Beskiden nach Polen, während seine Frau Hanne in Schweden Zuflucht fand.

Es folgten schwere Jahre. Erst kam der Krieg, dann ging seine Ehe in die Brüche. Und politisch hatte Jaksch auch nichts zu melden. Die tschechische Exilregierung in London verzichtete auf seine Mitwirkung. Nach und nach musste Jaksch erkennen, dass die Sudetendeutschen in eine sehr ungewisse Zukunft gingen. Alle Diskussionen kreisten immer wieder um die eine Frage: Wen würden die Sieger nach Kriegsende bestrafen - und wie? Nur die aktiven Unterstützer der Nationalsozialisten, keineswegs aber eine bestimmte Volksgruppe - daran ließ Eduard Benesch keinen Zweifel. Und selbstverständlich werde er "im gegebenen Moment" auch mit Wenzel Jaksch zusammenarbeiten.

Nicht die angenehmsten Zeitgenossen

Nach Kriegsende musste Jaksch untätig miterleben, wie sich Prag die Lösung des "deutschen Problems" vorstellte. Eduard Benesch erklärte die Deutschen schlechthin zu "menschlichen Ungeheuern", die man aus ihrem Land jagen müsse. Jaksch war überzeugt, dass "die Benesch-Clique" die Deutschen "nicht nur aussiedeln, sondern auch in möglichst großer Zahl vernichten" wolle, weil sie jede Hilfeleistung für diese sabotiere, wie er in einem privaten Brief notierte. Später differenzierte er diese Sichtweise und erklärte, Benesch habe "drei Millionen Westler" verjagt, um die Tschechoslowakei "an den Osten zu verschachern".

Erst vier Jahre später, Benesch lebte nicht mehr, durfte Jaksch, der inzwischen mit einer Engländerin verheiratet war, nach Westdeutschland übersiedeln. Sein Parteifreund Erich Ollenhauer versprach ihm, dass er für die SPD in den Bundestag gehen solle. Das sah man in der schon damals links ausgerichteten südhessischen SPD allerdings ganz anders. Jaksch hat sich zu den Rangeleien öffentlich nicht geäußert. In einem Brief notierte er aber damals: "Die in Hessen führenden Genossen gehören nicht zu den angenehmsten Zeitgenossen." Statt im Bundestag landete Jaksch im Hessischen Landesamt für Flüchtlinge.

Erst 1953 rückte er dann über die Landesliste doch in den Bundestag ein. Wer nun hoffte, der Böhme würde sich an die Genossen aus Hessen Süd anpassen, sah sich rasch getäuscht. Auf dem Berliner Parteitag (1954) plädierte Jaksch dafür, dass sich auch die SPD "mit den Notwendigkeiten einer militärischen Sicherung des Landes" arrangieren müsse: "Es ist die russische Politik, die in Westdeutschland Frieden predigt und in Mitteldeutschland aufrüstet und an die Waffen appelliert." Mit solchen Feststellungen machte sich Jaksch in Teilen der damaligen SPD nicht gerade beliebter. Als zwei Jahre später der Exil-Tscheche Milos Vanek auf dem Münchner Parteitag sprechen durfte, trat Jaksch kurzerhand aus dem Parteivorstand aus. Wirklich einflussreich war er zu keiner Zeit gewesen, denn die Flüchtlingsfrage spielte in der SPD nie eine herausragende Rolle.

Wehmütiger Blick in die Heimat

"Ich bin kein Irrer, der von der Wiederherstellung des Großdeutschen Reiches träumt", verteidigte sich Jaksch mehr als einmal - und machte weiter wie bisher. Er sprach von "tschechoslowakischen Raubgrenzen" und kritisierte das Geschichtsbild seiner Partei: "Wer polnischen Zuhörern den Eindruck vermittelt, ihre wechselnden Machthaber, die Militaristen, Nationalisten, Antisemiten und Stalinisten, hätten an dem Unglück Europas und des eigenen Landes keinen Anteil gehabt, hemmt die moralische Gesundung dieser Nation." Seine Parteifreunde nannten ihn scherzend ihren "Deutschnationalen".

Als ihn Willy Brandt 1960 in die elfköpfige "Führungsmannschaft" der SPD holte, regte sich in den Parteigremien Widerstand gegen Jaksch, der ein Jahr später Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) wurde. Am Ende war eine Kampfabstimmung nötig, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs galt Jaksch zu diesem Zeitpunkt längst als "Brunnenvergifter und Kriegshetzer". Auch nachdem 1963 neue Einreisebestimmungen in Kraft traten, blieb Jaksch eine unerwünschte Person. Wenn ihn dann das Heimweh plagte, fuhr er ins Niederösterreichische Waldviertel, stellte sich mit dem Fernglas auf den Mandelstein und schaute über den Grenzzaun, was aus Großmutters Obstgarten geworden war.

Die "außenpolitische Ostfront"

1964 wurde der streitlustige Sozialdemokrat zum Präsidenten des Vertriebenenverbandes gewählt. Damals war der BdV mit rund 2,5 Millionen Mitgliedern nach den Gewerkschaften die zweitwichtigste Interessengruppe in der Bundesrepublik. Kurz zuvor war der Verband in schwere Turbulenzen geraten, nachdem bekannt wurde, dass der Vertriebenenpräsident Hans Krüger (CDU) bereits 1923 am Hitlerputsch in München mitgewirkt hatte. Ein paar Jahre zuvor hatte der Vertriebenenminister Theodor Oberländer (CDU) gehen müssen, nachdem er in der DDR in einem Schauprozess in Abwesenheit zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt worden war - wegen der Erschießung von Polen und Juden.

So ein Debakel durfte sich nicht wiederholen. Es hatte dem Image der Vertriebenen erheblich geschadet. Bei Wenzel Jaksch konnten die Delegierten sicher sein, dass er eine weiße Weste hatte - ohne braune Flecken. Stiller wurde es um die Vertriebenen aber auch in seiner Präsidentschaft nicht. Jaksch liebte es zu polarisieren und energisch polterte er im böhmischen Dialekt gegen alle, die den Verzicht auf die deutschen Ostgebiete forderten.

Wenn es um die "außenpolitische Ostfront" ging, wie er es nannte, war mit Jaksch nicht zu spaßen. Kurz nach seinem Amtsantritt legte er sich auch mit Rundfunk und Fernsehen an. Jaksch beschimpfte die Medien als "hochmütige Fernsehbürokratie", die die östlichen Diktaturen unterstütze und die Meinungsfreiheit verfälsche. Formulierungen in Schulbüchern zu den Vertreibungen aus den Ostgebieten verglich er mit "Warschauer Propagandaformeln".

Mit solchen Statements machte er sich in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit rasch unbeliebt. Aber auch in den eigenen Reihen kam es zu Irritationen. Die Vertriebenen verstanden seine Forderung nach langfristigen Milliardenkrediten des Westens für Ost- und Mitteleuropa nicht. Warum sollten ausgerechnet sie sich dafür einsetzen, den Lebensstandard der Menschen dort anzuheben?

Der lästige Parteirebell

Während man Jaksch jenseits des Eisernen Vorhangs fortan wahlweise als "Nazi-Diener" und "Revanchistenboss" beleidigte, wurde auch die Entfremdung mit seiner eigenen Partei immer spürbarer. Zunehmend wurde den Flüchtlingsverbänden Nationalismus vorgeworfen, der das Elend der Flüchtlinge erst verschuldet habe. Schließlich forderten die südbayerischen Jungsozialisten die SPD-Führung auf, sich von Jaksch zu distanzieren. Öffentlich ist Willy Brandt darauf nicht eingegangen. Allerdings nominierte er Jaksch auch nicht erneut für seine Regierungsmannschaft. Dass seine Ostpolitik mit Jaksch nicht zu machen gewesen wäre, dürfte dem SPD-Vorsitzenden schon damals klar gewesen sein. "Kein Zweifel", so hieß es in der "Süddeutschen Zeitung", "der SPD-Abgeordnete Wenzel Jaksch beginnt seiner Partei lästig zu werden".

Ende November 1966 kam Jaksch im Alter von 70 Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Um die Mittagszeit krachte sein Borgward in Wiesbaden mit der schweren Limousine einer Familie aus Ahrweiler zusammen. Seine Frau Joan hatte die Vorfahrt missachtet. Wenzel Jaksch war nicht angeschnallt, wurde von der Wucht des Aufpralls auf die Straße geschleudert und starb kurz danach im Krankenhaus.

Vier Tage nach seinem Tod wurde in Bonn die Große Koalition gebildet: Viel Freude hätte Jaksch an der nun beginnenden Aussöhnung mit Polen und der Tschechoslowakei wohl kaum gehabt: Für ihn war die Festlegung der Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands nur mit einer gesamtdeutschen Regierung vorstellbar.


Dieser Beitrag wurde zuerst auf Spiegel-Online veröffentlicht.

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