Stefan Appelius


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Hausarrest für Adenauer

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Hausarrest für Adenauer

Von Stefan Appelius

Berlin, Britisches Hauptquartier, Anfang Oktober 1945. Im Büro von Noel Annan in der "Political Division" klingelt das Telefon. Ob er schon erfahren habe, dass die Militärregierung soeben den Kölner Oberbürgermeister Adenauer abgesetzt hat. Annan wird blaß: "Guter Gott! Ich höre es zum ersten Mal. Warum hat man uns nicht konsultiert?" Unverzüglich macht sich der junge Oberstleutnant auf den Weg zu General John Barraclough nach Köln, um den Militärgouverneur zu sprechen.

Als sich der Kölner Oberbürgermeister Ende September 1945 weigerte, die Bäume in den Ringstraßen Kölns fällen zu lassen, war ein Konflikt mit der britischen Militärregierung vorprogrammiert. "Die Brennstoffnot wäre auf keinen Fall auch nur annähernd beseitigt worden", meinte Adenauer, die Abholzung der Grünanlagen hätte Köln einen "unabsehbaren Schaden" zugefügt. Brigadier John Barraclough machte kurzen Prozess. Adenauer wurde seines Amtes enthoben und unter Hausarrest gestellt. Auch durfte der langjährige Kommunalpolitiker die Stadt Köln nicht mehr betreten. "Ich wußte, dass es keine Möglichkeit gab, Adenauer wieder zum Oberbürgermeister zu ernennen", erinnert sich Lord Annan, "aber der Hausarrest und das Verbot der politischen Betätigung für Adenauer musste sofort rückgängig gemacht werden." Schließlich konnte der junge Oberstleutnant auch General Barraclough überzeugen. Wenig später fuhr Annan nach Rhöndorf, wo sich Adenauer inzwischen ganz der Gartenarbeit widmete. Es war nicht ihre erste Begegnung.

"Er sagte mir gleich zu Beginn unseres Gespräches, dass er die Probleme der Militärregierung durchaus verstehe. Fallschirmspringer-Generale aber seien dumm, ganz gleich welcher Nationalität." Annan teilte Adenauer mit, dass das politische Betätigungsverbot und auch der Hausarrest mit sofortiger Wirkung aufgehoben worden seien. Die beiden Männer verstanden sich. Adenauer bescheinigte Annan später, er habe bei aller Wahrung britischer Interessen den ehrlichen Willen gehabt, der Situation in Deutschland gerecht zu werden.

Schließlich wollte Adenauer wissen, was der junge Oberstleutnant tun werde, wenn er zurück in Großbritannien sei. "Ich sagte ihm, dass ich Historiker bin und in Cambridge unterrichten werde." 'Historiker?', fragte er, Dann könne ich ihm vielleicht vielleicht sagen, was das Dümmste war, was die Engländer jemals in Deutschland getan haben. Ich fragte ihn, warum er es mir nicht selbst verraten solle", erzählt Lord Annan, "denn ich war mir sicher, dass er es besser wusste, als ich." Es sei der Wiener Kongreß von 1814 gewesen, als die Engländer die preußischen Grenzen bis an den Rhein verschoben, erfuhr der junge Historiker. Adenauer, da ist sich Annan heute noch ganz sicher, verachtete die Preußen mehr noch als die Kommunisten. "Er war ein bemerkenswerter Mann und ich schätzte mich glücklich, ihn in jenen Tagen kennengelernt zu haben."

Annans Aufgabe in der britischen Militärregierung bestand darin, am Wiederaufbau der Demokratie in Deutschland mitzuarbeiten. Natürlich habe es auch Engländer gegeben, die daran zweifelten, ob es überhaupt schon jemals Demokratie in Deutschland gegeben habe. "Die Weimarer Republik war einfach kein gutes Omen für die Zukunft. Auch wollten wir völlig sicher sein, dass die Deutschen begreifen, dass sie den Krieg verloren haben."

Annan beobachtete den Wiederaufbau der politischen Parteien. Er lernte Kurt Schumacher und Konrad Adenauer bereits unmittelbar nach Kriegsende kennen. "Ich hatte sehr schnell das Gefühl, dass ich die Militärregierung davon überzeugen muss, dass diese beiden Männer wichtige Persönlichkeiten in der deutschen Nachkriegspolitik sein würden. Es war sehr wichtig für viele Offiziere unserer Militärregierung, das zu verstehen. Ob Sie es glauben oder nicht - die Engländer hatten sich auf eine Besatzungszeit von zwanzig Jahren eingestellt. Und so wurde ich immer wieder gefragt: Wozu brauchen wir diese Politiker? Wir regieren in diesem Land."

Davon, dass das Verhältnis zwischen Adenauer und Schumacher alles andere als herzlich war, konnte sich der junge Oberstleutnant eines Tages bei einem gemeinsamen Flug in einer Militärmaschine von Hannover nach Berlin überzeugen. Während der gesamten Reise sprachen die beiden Politiker kein Wort miteinander. Erst als sie nach mehreren Stunden im Büro von General Brian Robertson eintrafen, wurde das Schweigen gebrochen.

Konrad Adenauer hat den Engländern seine Absetzung nie verziehen. Wurde Großbritannien nach dem Wahlsieg der Labour Party im Sommer 1945 eine sozialistische Besatzungsmacht? Bevorzugten die Engländer die Sozialdemokraten, wie es nicht zuletzt Konrad Adenauer glaubte? Lord Annan lacht: "Nein. Demokratie bedeutet, die Partei und die Menschen zu wählen, die am besten für das Land geeignet sind. Das war unsere erklärte Überzeugung. Wir konnten und wollten die Menschen in dieser Frage nicht beeinflussen, wie es die Russen taten. Das entsprach überhaupt nicht unseren Vorstellungen." Zudem erschienen den Engländern deutsche Sozialdemokraten, die bereits in der Weimarer Republik versagt hatten, als denkbar ungeeignet.

Manch englischer Besatzungsoffizier glaubte in jenen Tagen, es sei seine vorrangige Aufgabe, die Deutschen in Demokratie zu unterrichten. Manchmal erinnerte das an längst vergangene Zeiten britischer Kolonialpolitik. Vielen Deutschen stieß das sauer auf. "Eines Tages sagte mir Kurt Schumacher ganz aufgebracht: Wir sind kein Negervolk!", erinnert sich Lord Annan, der ganz unumwunden zugibt, die Deutschen hätten die Amerikaner gewiss mehr geliebt als seine Landsleute. Immer wieder wurden in der Militärregierung Möglichkeiten diskutiert, weniger freundlich mit den Deutschen umzugehen und damit das Fraternisierungs-Verbot aufrecht zu erhalten. Immerhin hatte man wenige Monate zuvor noch gegeneinander gekämpft, gibt Lord Annan zu bedenken. Er allerdings ignorierte diese Verfügungen schon damals, erschienen sie ihm doch denkbar ungeeignet, die Menschen in Deutschland von der Demokratie zu überzeugen. Die waren nämlich Krieg und Diktatur leid, meint Annan: "Eines der für uns hilfreichsten Dinge in diesem Zusammenhang war, dass die Menschen nach den Erlebnissen mit der Hitler-Diktatur nun in Ostdeutschland den Aufbau einer Diktatur von links erlebten."

Haben die Jahre der britischen Besatzungszeit bleibende Spuren im politischen System der Bundesrepublik Deutschland hinterlassen? Ursprünglich wollten die Engländer die Kohle- und Stahlindustrie an Rhein und Ruhr nach Kriegsende sozialisieren. Aus diesem Grunde auch schufen sie 1946 das Land Nordrhein-Westfalen. "Der wirkliche Grund, warum wir unsere Sozialisierungspläne nicht verwirklichen konnten, lag darin, dass wir vom Geld der Amerikaner abhängig waren. Die aber waren für sozialistische Experimente nicht zu gewinnen", meint Lord Annan. Zudem stand Großbritannien im Sommer 1945 vor einem "wirtschaftlichen Dünkirchen". Das Land war aus dem von Deutschland verschuldeten Krieg militärisch zwar als Sieger, wirtschaftlich jedoch nahezu ruiniert hervorgegangen.

Die britische Besatzungszeit hat dennoch Spuren hinterlassen. Im Rhöndorfer "Bundeskanzler-Adenauer-Haus" jedenfalls hält man Lord Noel Annan für einen der "Gründerväter der Kanzlerdemokratie" in Deutschland.

Dieser Beitrag wurde am 13. März 1995 im "Bonner General-Anzeiger" veröffentlicht.

Lord Noel Annan

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