Stefan Appelius


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Der Gammlerkönig von Lichtenberg

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Der Gammlerkönig von Lichtenberg
Von Stefan Appelius

Schnürschuhe? Sonnenbrille? Subversiv! DDR-Jugendliche, die sich am Westen orientierten, waren der SED ein Dorn im Auge - wie die Clique der "Rolling Stones Fans". In der Stasi-Haft gebrochen, ließ sich ihr Anführer Peter Vogel schließlich auf einen Deal ein - mit schrecklichen Konsequenzen.

"Ich denke Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch wirklich Schluss machen!" Der greise SED-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht hatte nichts gegen junge Leute - solange sie kurz frisiert in frisch gebügelten blauen FDJ-Hemden für den Arbeiter- und Bauernstaat demonstrierten. Der 21-jährige Peter Vogel aus Berlin passte nicht in dieses Bild. Vogel und seine Freunde, die sich selbst "Rolling Stones Fans" nannten, trugen den Beatles-Haarschnitt, US-Parkas, original Levis-Jeans, Schnürschuhe und dunkle Sonnenbrillen. Und für das SED-Regime hatten die coolen Jungs aus Berlin-Lichtenberg nur Verachtung übrig.

Alles begann in Werneuchen, einem kleinen Städtchen auf einem Höhenzug nordöstlich von Berlin. Hier wird Peter Vogel kurz vor Kriegsende geboren. Viel los ist in Werneuchen nicht, am aufregendsten an dem Ort ist noch das Jagdbombergeschwader der Sowjetarmee, das hier stationiert ist. Das änderte sich erst mit dem Welterfolg der Beatles. Die "Beatles" - das ist im Sommer 1964 nicht nur die britische Band, die von Welterfolg zu Welterfolg eilt. Es ist auch der Name einer Clique von Jugendlichen, die sich regelmäßig in der Eisdiele Ecke Rosa-Luxemburg-/Wegendorfer Straße trifft.

Peter Vogel ist ihr Boss. Er liebt die Musik der Beatles schon seit Jahren. Peter ist im Kinderheim aufgewachsen. Seine Eltern sind geschieden. Anfang 1962 hatte die SED-Obrigkeit den 17-Jährigen ins Gefängnis bringen lassen - wegen "versuchten Grenzdurchbruchs". Man hatte ihn und einen Kumpel in einem geklauten Lkw aufgegriffen. An der Grenze waren sie gar nicht gewesen. Ein bisschen mehr als zwei Jahre hatte der Teenager im Gefängnis gesessen, wo er von den Wachen mehrmals schwer verprügelt worden war.

Radios auf volle Lautstärke

Seit Peter wieder draußen ist, hat sich viel verändert. Früher, vor dem Mauerbau am 13. August 1961, war er oft in West-Berlin gewesen. Er hatte sich Krimis gekauft und sich gern Western im Kino angesehen. Das geht ja jetzt nicht mehr, die DDR-Bürger sind eingemauert. Das Gefängnis hat aber noch etwas anderes in ihm bewirkt. Wofür soll er eigentlich arbeiten gehen? Einmal hat er sich an einem Arbeitsplatz vorgestellt. Ob im Betrieb auch Sachsen arbeiten würden, hatte er gefragt. Mit denen arbeite er nicht zusammen. Der SED-Staat kotzt ihn an, und Peter Vogel macht kein Geheimnis daraus.

In Werneuchen häufen sich bald die Beschwerden über die " Beatles"-Gruppe. Nicht nur, dass die Jungs ständig Westzigaretten rauchen – wie kommen sie da eigentlich ran? Zwei ältere Damen sind im Kommissariat der Volkspolizei vorstellig geworden. Gestern war in ihrem Haus die Hölle los. "Es wurden zwei Rundfunkgeräte auf volle Lautstärke angestellt, ständig Treppe rauf, Treppe runter und die dazugehörigen Verständigungslaute", heißt es in einem Protokoll.

Peter und die Jungs aus seiner Clique arbeiten jetzt im "Werk für Fernsehelektronik" in Berlin-Schöneweide. Schichtarbeit, aber gut bezahlt. Zur Arbeit fahren sie mit dem Dampfzug aus Werneuchen. Am Bahnhof Lichtenberg steigt man dann in die S-Bahn um. Die Clique ist größer geworden, jetzt sind auch Beatles-Fans aus Ost-Berlin dabei. Am liebsten würde Peter ganz in die "Hauptstadt der DDR" ziehen. Aber an eine Zuzugsgenehmigung ist mit seiner Akte natürlich nicht zu denken, ganz abgesehen vom Wohnungsmangel.

Kreischen wie am Spieß zu harten Beats

Doch dann lernt er Bärbel kennen. Sie ist erst 18, die Tochter des Generalsuperintendenten der Evangelischen Landeskirche. Schon bald sind sie ein Paar. Der Musikgeschmack von Peter und seinen Freunden hat sich inzwischen verändert. Die Gruppe nennt sich seit 1965 " Rolling Stones Fans". Peter Vogel, ihr Boss, ist inzwischen einschlägig bekannt - man nennt ihn den "Gammlerkönig vom Bahnhof Lichtenberg". Schon seit einer Weile ist er im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit.

Die Stasi hat einen seiner Freunde auf ihn angesetzt, den "Geheimen Informator" (GI) mit dem Decknamen "John". Der erklärt seinem Führungsoffizier, wie man einen "Rolling Stones Fan" erkennen kann: "Nach Meinung des GIs ist es vor allem das ‚Kreischen’ der ‚Rolling Stones Fans’ beim Spielen von hartem Beat. Unter ‚Kreischen’ versteht der GI die Handlungsweise der ‚Rolling Stones Fans’, die beim Erklingen des harten Beats derart verzerrte Worte (rufen), als ob sie am Spieß stecken."

"Gammler" - so nennt man in der DDR Jugendliche, die ihre Haare wachsen lassen und sich weder in ihrer Kleidung, noch in ihrem Musikgeschmack der Staatsjugend unterordnen wollen. Auch Peters Haare sind inzwischen lang, und häufig trägt er einen wallenden Vollbart. "Die Einstellung dieser Gruppe zu den Fragen des Lebens und zu unserer soz. Gesellschaft ist reinster Nihilismus", heißt es in einem Ermittlungsbericht der Volkspolizei. "Diese Gruppe lehnt jede gesellschaftliche Betätigung konsequent ab und bringt sich bewusst in eine Außenseiterposition. Das wird dokumentiert und unterstrichen durch die bereits geschilderte Kleidung und durch eine weibische Haartracht."

Nazi-Orden von der Blechkanne

Peter Vogel fällt noch in einem anderen Punkt auf. Vorne an seiner Jacke ist ein großes goldenes Abzeichen angebracht. Das sei der Orden "Common Hill" pflegt er zu antworten, wenn man ihn nach der Medaille fragt. Es dauert nicht lange, bis das verdächtige Objekt in der Asservatenkammer der Volkspolizei landet. Ende Dezember 1965 wird Peter Vogel wegen des "Nazi-Ordens" auf dem Bahnhof Lichtenberg festgenommen. Peter ist empört: Seine Haartracht und seine Kleidung sei nicht gammelig, sondern modern, wehrt er sich. Es sei seine persönliche Freiheit, nach der Arbeit so herumzulaufen, wie er es wolle. Niemand könne ihn dazu zwingen, sich seine Haare schneiden zu lassen. Der angebliche Nazi-Orden entpuppt sich als Verzierung, die Peter von einer alten Blechkanne abmontiert hat.

Inzwischen sind Peter Vogel und seine "Rolling Stones Fans" in der DDR über Nacht landesweit bekannt geworden: Das Satiremagazin "Eulenspiegel" hat eine große Foto-Reportage über die "Haarlekine von Lichtenberg" veröffentlicht. Sie findet derart starken Anklang, dass wochenlang Hunderte von jungen Leuten aus allen Teilen der DDR nach Ost-Berlin strömen, um die "Rolling Stones Fans" im Jugendclub "Freundschaft" zu treffen. Das aber ist gar nicht im Sinne der Staatssicherheit, die einen "negativen Masseneinfluss auf die Jugend der DDR" durch den "Gammlerkönig" fürchtet.

Und so landen Peter und seine Freunde im Gefängnis, wo man ihnen zuerst die Haare schneidet. "Vogel wurde mit einer Gruppe Gammler verhaftet, weil sie einen Grenzdurchbruch versucht hatten", heißt es in Peter Vogels Stasi-Akte - ein konstruierter Vorwand. Während der Untersuchungshaft gelingt es der Stasi, Peter zu brechen. Wenn er "die Behörden" mit "Informationen über Jugendprobleme" unterstütze, könne er schon bald wieder draußen sein, sagt man ihm. Anderenfalls drohe eine lange Haftstrafe. Peter Vogel akzeptiert schließlich den Deal mit der Stasi. Bald darauf ist er wieder auf freiem Fuß.

"Ich hab' was sehr schlimmes gemacht"

Die Fachleute für "Zersetzung" vom MfS wissen: Am wirksamsten lässt sich eine unliebsame Gruppierung von innen heraus zerstören. Und am besten gelingt das, indem man eine "zentrale Figur" umdreht. Peter Vogel arbeitet fortan unter dem Decknamen "Hirschberg" für Erich Mielke und seine Mannen. Wohl fühlt er sich dabei offensichtlich nicht. "Ich hab' was sehr schlimmes gemacht, das wirst Du nie erfahren", sagt er eines Abends sturzbetrunken zu Bärbel. Die Selbstvorwürfe nagen an ihm - was ihn allerdings nicht davon abhält, fleißig zu berichten. Drei Jahre dauert es, bis der Operative Vorgang "Grenzmuseum" abgeschlossen ist. Im Frühjahr 1969 ist die Gruppe komplett zerschlagen, die aufmüpfigen "Rolling Stones Fans" sind Geschichte. Im Abschlussbericht heißt es, das sei vor allem das Verdienst des IM "Hirschberg".

Jetzt braucht die Stasi Peter Vogel nicht mehr. Der lange so wertvolle IM "Hirschberg" wird ein paar Monate später festgenommen, wegen Rowdytum. Kaum wieder in Freiheit, sperrt man ihn erneut ein, diesmal wegen "Staatsverleumdung". Danach schafft es Peter Vogel nicht mehr, auf eigene Füße zu kommen. Über seine letzten Monate ist wenig bekannt. Er sitzt im Arbeitslager in Rüdersdorf ein. An Bärbel, die inzwischen von ihm geschieden ist, schreibt er im Juni 1972 aus der Haft: "Ich werde alles daran setzen, dass Du ein zweites Glück erleben wirst und wir wieder reisen werden und uns frohe Stunden bereiten. Mich verlangt es wie ein jeden normalen Menschen nach Glück und Familie."

Ein knappes halbes Jahr später ist Peter Vogel tot. Er hat Methylalkohol getrunken. Als die Behörden erkennen, dass er nicht überleben wird, wird der Todkranke "amnestiert" und sofort aus der Haft entlassen. Drei Tage später stirbt er im Krankenhaus Rüdersdorf. Zur Beerdigung sind alle seine Freunde gekommen. Niemand ahnte damals, welches schreckliche Geheimnis auf ihm lastete.


Dieser Beitrag wurde zuerst auf Spiegel-Online veröffentlicht.

Peter Vogel

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